Die Waldenburgerbahn
Mehr als ein Schweizer Kuriosum - Erfolgsgeschichte auf schmalster Spur

Berichterstattung: Hans Rudi Lüthy-Pavan, Kurt Stuber und Franz Straka

Die Bestrebungen, eine Bahn ins Waldenburgertal zu bringen, gehen weit ins 19. Jahrhundert zurück. Im Jahre 1858 nahm die normalspurige Centralbahn als letztes Teilstück der direkten Linie Basel – Olten die Strecke Sissach-Läufelfingen in Betrieb. Damit kam der, bis dahin sehr rege, Fuhrwerkverkehr durch das Waldenburgertal fast gänzlich zum Erliegen. Das Tal sah sich seiner Haupteinkünfte beraubt und drohte zu verarmen. Deshalb wurde eine Motion (schriftlicher Antrag in einem Parlament) über die Erstellung einer Eisenbahn mit Lokomotivbetrieb auf der Landstrasse Liestal-Waldenburg gefasst. Die entschlossenen Männer des Tales unter Führung von Gedeon Thommen aus Waldenburg (bekannt als Förderer der Uhrenfabrikation) und Dr. M. Bider aus Langenbruck (Initiant für die Schaffung des Kurortes Langenbruck), ergriffen die Initiative. Sie beschlossen zur Belebung des Verkehrs, des Handels, und der Industrie eine Bahn zu errichten. Die erste Konzession für den Bau einer Schmalspurbahn datiert aus dem Jahre 1870 , also 10 Jahre vor der Betriebseröffnung.


G 3/3 Nr.4 "Waldenburg" 1887

G 3/3 Nr. 4 II "Langenbruck"

Nach längeren Vorverhandlungen, wurde die Konzession mit einigen Ergänzungen und Streichungen am 24. Februar 1880 vom Bundesrat gut geheissen und so konnte am 15. März 1880 mit dem Bau begonnen werden. Die Finanzierung stiess auf grosse Schwierigkeiten, denn das Tal und der Kanton (Bundesländer) waren arm. Der Kanton konnte einzig so viel beitragen, dass er der Bahngesellschaft das Recht einräumte, denjenigen Teil der Staatsstrasse zu benützen, der über 18 Fuss-Breite hinausging. Die damalige Staatssstrasse war 8 m breit und für den grossen Fuhrwerk-Transitverkehr erstellt worden. Die finanziellen Mittel von Fr. 350'000.- wurden aufgeteilt in Subventionen der Centralbahn (Fr. 100.000.-), Aktien 1. Ranges von Privaten (Fr. 90'000.-), Aktien 2. Ranges von den Gemeinden (Fr. 100'000.-) und Anleihen bei der Basellandschaftl. Kantonalbank (Fr. 60'000.-). Mehr war nicht aufzubringen. Deshalb „streckte man sich nach der Decke“ und baute eine Bahn, wofür diese Mittel ausreichten, eben eine Bahn mit 75 cm Spurweite . Zwischen Bahnbehörden und den Baufirmen konstatierte man nicht eitel Sonnenschein und die Eröffnung im Monat Juli 1880 wurde zum Teil aus technischer Natur auf den 1. November 1880 hinausgezögert . Mit zwei Dampflokomotiven (8,8 t Gewicht/50 PS) auf die Namen „Dr. Bider“ und „Rehhag“, einem Post/Gepäckwagen und vier zweiachsigen Personenwagen, zwei gedeckten- und sechs offenen Güterwagen wurde anfänglich der Verkehr – wegen der Bubenstreiche vorwiegend am Tag – bewältigt. Die Fahrzeit betrug zwischen Liestal und Waldenburg 55 bis 60 Minuten. Bereits 1882 musste eine dritte Dampflokomotive beschafft werden. Schon im Jahre 1912 liess die Gesellschaft ein Projekt ausarbeiten, das den Umbau der Bahn auf Meterspur zur Grundlage hatte (wie auch andere Strassen- oder Schmalspurbahnen). Die grossen Baukosten und der Ausbruch des ersten Weltkrieges kurz nach Abschluss der Projektstudien verhinderte aber den geplanten Umbau. Hingegen wurde das bestehende Gleis im Laufe der Jahre nach und nach erneuert. Auch wurde das Bedürfnis nach neuem Rollmaterial immer dringender. So konnte 1887 von der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM) eine G 3/3 „Waldenburg“ beschafft werden.


SLM Winterthur G 4/5 Nr. 7 (Werkbild)

Die fünfte Einheit folgte 1902. In den Jahren 1910 und 1912 folgte die Inbetriebnahme zwei weiterer Dampflokomotiven, während die „alten“, aus der Zeit der Betriebseröffnung stammenden Lokomotiven entweder verkauft oder als Altmaterial abgestossen wurden. Auch der Personenwagenpark wurde nach und nach ersetzt.1902 sprach man zum ersten Mal über eine Elektrifizierung der Bahn, doch blieb es darüber bis 1927 ruhig. Am 19.12.1933 war die Bahn im Besitz einer Planskizze über einen vierachsigen Motorwagen CFe 4/4 der Wagonfabrik Schlieren AG für die wieder ins Gespräch gekommene Elektrifizierung. 1936 wurde, gestützt auf ein Expertengutachten, der Entscheid getroffen, den Dampfbetrieb vorläufig beizubehalten und neben vier Personenwagen eine weitere Dampflok anzuschaffen. Diese wurde bei der SLM bestellt und als Nr.7 am 31. Mai 1938 dem Betrieb übergeben. Dies war die letzte von der SLM für eine Schweizerbahn


Dampflokomotiven G 3/3
gebaute Dampflok. Während des zweiten Weltkrieges kam die „kohlenfressende“ Dampflok nur an Sonntagen zum Einsatz. Im Hinblick auf die damals notwendig gewordene Erneuerungen und Ergänzungen des Rollmaterials begannen auch die ernsthaften Versuche, die Elektrifizierung der Bahn durchzubringen. Es hört sich beinahe als „Leidensgeschichte“ an, denn schon 1931 war es eine beschlossene Sache, die Bahn zwischen Liestal und Waldenburg zu elektrifizieren. Die Kantonsregierung hatte 1934 dem Landrat

den notwendigen Kredit bewilligt, aber die Vorkriegszeit liess manche Verwirklichung auf sich warten und wurde an den Regierungsrat zurückgewiesen. Der zweite Weltkrieg und die schwer zu beschaffenden Kohlenvorräte offenbarten wieder aufs neue, was man verpasst hatte. Am 15. November 1946 traf ein vom Eidgenössischen Amt für Verkehr erstelltes Gutachten ein, das die Elektrifizierung auf der Spurweite von 75 cm mit der bestehenden Trasse empfahl. In den folgenden Jahren wurden auch noch verschiedene Gutachten über die Umstellung der Bahn auf Diesel-, Autobus- oder Trolleybusbetrieb eingeholt. Am 28. Juni 1951 entschied sich der Landrat endgültig für die Elektrifizierung. Die von den BBC Baden (elektr. Teil) und Schindler, Pratteln


Dampflokomotiven vor der Abfahrt
(mechanischer Teil) gebauten CFe
4/4-Triebwagen Nr. 1 – 3 wurden 51 Jahre nach den ersten Plänen zur Elektrifizierung feierlich am 25. Oktober 1953 unter grosser Beteiligung der Bevölkerung des Tales eingeweiht. Gleichzeitig wurde das Ende des Dampfbetriebes eingeläutet. Vor den elektrischen Triebwagen fuhren die treuen alten Dampfrösser begleitet mit Böllerschüssen das letzte Mal durchs Waldenburgertal. Während die G 3/3 6 „Waldenburg“ 1953 ausrangiert und seit

1959 im Verkehrshaus der Schweiz zu besichtigen ist, wurde die Lok 4 „Langenbruck“ im Jahre 1954 verschrottet. Die Lok Nr. 5 „G. Thommen“ sollte in Waldenburg als Denkmal aufgestellt werden, blieb jedoch bis 1961 im Depot Waldenburg remisiert bis sie als Denkmallok das Bahnareal in Liestal ausschmückte. 15 Jahre hielt sie jedem Wetter stand, bis die neu gebildete Dampfgruppe die Lok vom Sockel holte um Sie wieder aufzuarbeiten. In der ÖBB Hauptwerkstätte Knittelfeld wurde der Kessel und die Feuerbüchse total revidiert und 1979 in die Lok Nr. 5 eingebaut. Zum 100 Jahr-Jubiläum der Waldenburgerbahn dampfte sie wieder mit frischem Elan durch die schöne Tallandschaft. In der Zwischenzeit (1970) holte die „Eurovapor“ (Europ. Vereinigung zur Erhaltung von Dampflokomotiven) die Lok 298.14 bei der Steyrtalbahn mit drei Personenwagen der Mariazellerbahn zur Waldenburgerbahn, damit man das „Dampfross“ nicht ganz vergessen musste. So fuhr zur 90 Jahr-Feier wieder ein


Lokomotive Baureihe 298.14 ÖBB auf der Waldenburgerbahn (von 1970 - 1980)
Dampfzug von Liestal nach Waldenburg.Die unternehmerische Weichenstellung in Richtung „moderner Bahn“ sollte auch gleich Früchte tragen. Die Frequenz stieg von 380.732 Fahrgästen 1953 sprunghaft auf fast 506.000 im folgenden Jahr an. 1970 wurde mit 846.700 Personen ein Rekordstand, aber offensichtlich auch eine Grenze erreicht. In der Folge verlor die Bahn Terrain gegenüber dem privaten (Pendler-) Verkehr. Die Frequenzen sanken, Massnahmen zur Attraktivitätssteigerung wurden unvermeidlich. 1985/86 wurden vier neue Pendelzüge, bestehend aus einem Trieb- und einem Steuerwagen, in Betrieb genommen (Bde 4/4 11-14/Bt 111-114), womit die Fahrzeit verkürzt und ab 1987 der Fahrplan in den Hauptverkehrszeiten auf den Halbstundentakt verdichtet werden konnte. Da es wieder aufwärts mit den Frequenzen ging, musste 1993 eine zweite Serie Pendelzüge (drei Triebwagen und sechs Steuerwagen) beschafft werden. Inzwischen sind auch die im Jahre 1953 beschafften CFe 4/4-Triebwagen an andere 75 cm-Spurweiten-Bahnen verkauft worden.

Diese Triebwagen waren beim Fahrpersonal äusserst beliebt gewesen. Auf speziellen Niederflurwagen der ÖBB wurden die drei Triebwagen nach St. Pölten verladen. Als „Gegenleistung“ für das „geschenkte“ Rollmaterial erhielt die WB von der Museumsbahn neuwertiges Gleismaterial (u.a. der einzige „Engländer“ bei der WB in Waldenburg). Im Juni 1996 meldete die Presse die Übernahme der drei „alten“ WB-Triebwagen durch die „Eisenbahn-Betriebsgesellschaft Paderborn“.


Triebwagen im Liestal (1993)

Die Fahrversuche scheiterten, sodass die SWB-Triebwagen auf dem Freigelände des „Eisenbahn und Technik-Museums Rügen“ in Prora (Insel Rügen) auftauchten, jedoch im Laufe des Jahres 2000 als „abgebrochen“ gemeldet wurden. Verschiedenes „altes“ Wagenmaterial ist heute beim sogenannten „Oechsle“ in Ochsenhausen noch im Einsatz. Die Investition in neues Rollmaterial und Trasseverbesserungen haben sich gelohnt. 1986 stieg die Zahl der beförderten Personen erstmals auf über eine Million. Im Jahre 2001 wurde sogar die Rekordzahl von 1.876.100 erreicht, ehe es im Jahr 2002 zu einem nicht nachvollziehbaren Einbruch um 89.700 Personen gekommen ist. Die Zahl im Jahre 2003 zeigte glücklicherweise wieder nach oben.


Z69 in Waldenburg (1993)

Neuer Triebwagen (1998)

Die Bahnverantwortlichen ruhten sich nicht auf ihren Lorbeeren aus. 2003 wurde der durchgehende Halbstundentakt eingeführt. Die finanzielle Situation der Waldenburgerbahn, die nur zu je gut 30% Bund, Kanton und Gemeinden sowie zu 2,5% Privaten gehört ist aber sehr gesund und die Bahn hat Zukunft – allerdings wohl mit Meterspur. Ein Entscheid ist noch nicht gefallen, aber gemäss Beschluss des Verwaltungsrates werden sämtliche baulichen Arbeiten am Trasse so ausgerichtet, dass ein Wechsel der Spurweite problemlos möglich wäre. Für die etwas breitere Spur spricht die neu geforderte behindertengerechte Ausstattung der Fahrzeuge, was bei der ganz schmalen Spur technische Probleme bereiten würde. Der Übergang auf einen Meter, die Tram-Spurbreite, wäre auch insofern vorteilhaft, als er bei Bedarf einen Austausch von Rollmaterial mit den Basler Verkehrsbetrieben (BVB) und der Baselland Transport AG (BLT) ermöglichen würde.


Lokomotive Nr. 5 der Waldenburgerbahn

Generationentreffen in Waldenburg (2005)

Als Option würde sich eine Verknüpfung der WB mit dem Netz von BVB und BLT eröffnen – falls die Tram aus Basel einmal bis nach Liestal weitergeführt werden sollte, wofür es bereits eine unverbindliche Planung gibt. Konkret soll über den Wechsel der Spurweite erst im Hinblick auf die Erneuerung des Rollmaterial entschieden werden, und dies ist ab etwa 2015 fällig. Die Abkehr von den 75 cm-Spurweite wäre dann freilich das Ende des liebenswürdigen Kuriosums – und auch das Ende der inzwischen sehr beliebt gewordenen Nostalgiefahrten mit der altehrwürdigen Dampflokomotive und alten Personenwagen durch das Waldenburgertal, die sich grosser Beliebtheit erfreuen. Die Waldenburgerbahn , im Volksmund liebevoll „Waldenburgerli“ genannt, ist inzwischen 127 Jahre alt. Sie symbolisiert aber nach wie vor die Vitalität, Entschlossenheit und Hartnäckigkeit der Menschen im Waldenburgertal.

Autor: H.R. Lüthy, Oberentfelden

Verzeichnis der Dampflokomotiven HIER (pdf)
Fahrzeuge der Waldenburgerbahn in St.Pölten Alpenbahnhof (Stand 1995)  HIER (pdf)

Quellangaben

 
Geschäftsberichte der WB Festschrift über Elektrifikation 1953
Inlandbericht der NZZ vom 11.8.2003 Dampf-Archiv Nr. 4
Verlag Eisenbahn Waldenburgerbahn v. Fr. Gysin
 
Buch Tipp
 

Waldenburgerbahn

Schmalspurbahn-Aktivitäten in Österreich
Autor: Friedrich Gysin Autor: Markus Strässle

Verlag: Dietschi AG

Verlag: Josef Otto Slezak/1997
ISBN 3-905404-14-1 ISBN: 3-85416-184-0
Kurt Stuber
Hans-Rudi Lüthy-Pavan
Straka Franz
April 2007
Änderung Juli 2012