Die Thessalischen Schmalspurbahnen
Berichterstattung Ing. Herbert Ortner

Wer Griechenland hört, denkt nur in den seltensten Fällen an Eisenbahnen. Doch das, vom üblichen Badetourismus meistens links liegen gelassene griechische Festland hat als schroffes Gebirgsland ein zwar dünnes, aber äußerst bemerkenswertes Eisenbahnnetz hervorgebracht. Einige dieser Strecken wurden auch als Schmalspurbahnen errichtet.


Weltkulturerbe bei Kalambaka: Die Felsenklöster von Meteora

Die Thessalischen Eisenbahnen (Sidirodromi Thessalias), in der heutigen griechischen Provinz Thessalien gelegen, waren eine private Eisenbahngesellschaft. Sie erbauten und betrieben (siehe Geschichte) ein von der Hafenstadt Volos ausgehendes schmalspuriges Streckennnetz. Zwei meterspurige Strecken führten ursprünglich nach Larissa und Kalambaka, die Pilionbahn in Spurweite 600 mm führte von Volos nach Milies auf der Halbinsel Pilion.

Geschichte

Nach der Unabhängigkeit Thessaliens vom Osmanischen Reich im Jahr 1881 sollte die Erschließung der nun griechischen Provinz vorangetrieben werden. Dazu wurden am 25. Oktober 1882 mit französischem Kapital die Thessalischen Eisenbahnen gegründet. Im September 1883 wurde mit dem Bau der Strecke von Volos, der wichtigsten Hafenstadt Thessaliens, zur damaligen Provinzhauptstadt Larissa begonnen und am 21. April 1884 wurde diese 61 km lange Strecke fertiggestellt. Die zweite Strecke zweigte in Velestino, 19 km westlich von Volos ab. Sie war 142 km lang und führte im wesentlichen durch eine fruchtbare Ebene am Rande des Pindosgebirges. Jeder Abschnitt wurde sofort nach Fertigstellung dem Betrieb übergeben, wodurch die gesamte Strecke bereits mit fünf Etappen eröffnet werden konnte:


Zwei MAN-Meterspurtriebwagen im
Bahnhof Volos


Die fünf Etappen


Velestino–Farsala, 13. November 1884

Farsala–Sofades, 30. Juni 1885

Sofades–Karditsa, 3. Oktober 1885

Karditsa–Drossero, 9. März 1886

Drosero–Kalambaka, 16. Juni 1886

Schmalspuriger Betrieb
Beide Strecken wurden als Schmalspurbahnen mit einer Spurweite von 1.000 mm errichtet. Die Lokomotiven wurden hauptsächlich von der Lokomotivfabrik Tubize in Belgien beschafft. 1895 und 1903 erfuhr das Streckennetz der Thessalischen Schmalspurbahnen noch eine Ergänzung durch die in Spurweite 600 mm ausgeführte Pilionbahn. Mit Eröffnung der Bahnstrecke von Athen nach Larissa, heute Bestandteil der Magistrale von Athen nach Thessaloniki, verloren die Thessalischen Schmalspurbahnen ihr Transportmonopol in der Region.

Abfahrt eines Triebwagens aus Volos in Richtung Kalambaka, im Hintergrund sind ausgemusterte Breda-Triebwagen erkennbar.

Das Vierschienengleis für drei Spurweiten
in Volos

An der Kreuzung der Strecke nach Kalambaka mit der Hauptbahn wurde eine kurze Abzweigung aus Richtung Volos zu einem Knotenbahnhof errichtet, der weit abseits nennenswerter Ansiedlungen gelegen den Namen Paleofarsalos erhielt. Ein Normalspurgleis zweigte von der normalspurigen Hauptstrecke in Richtung Volos ab, wo beim Bahnhof Enotiki der Schmalspurbahn eine Umladestation für den Güterverkehr geschaffen wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg plante Griechenland die Errichtung mehrerer neuer Bahnverbindungen zur Erschließung des gebirgigen Festlandes. Darunter befand sich eine normalspurige Strecke von Kalambaka über Kozani nach Veroia und wodurch ein Umbau der thessalischen Schmalspurbahnen auf Normalspur notwendig wurde. 1927 wurden die entsprechenden Beschlüsse gefaßt und ab 1928 wurde am Bau der neuen Strecke ab Kalambaka gearbeitet. Doch schon ein Jahr später stand fest, dass das Projekt die veranschlagten Kosten um ein vielfaches überschreiten würde.


Die Dampfloks der Pilionbahn waren 1995 noch in Volos abgestellt.
1932 wurden die Bauarbeiten abgebrochen und bis zum heutigen Tag nicht mehr aufgenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren mehrere Brücken, Tunnels und Bahnhöfe fertiggestellt. Gleise wurde auf der ca. 180 km langen Strecke jedoch nie verlegt. So ergibt sich für den Reisenden an zahlreichen Stellen das Bild einer stillgelegten Bahnlinie mit verfallenen Bahnhofsgebäuden und verrosteten Brückentragwerken. Tatsächlich ist hier aber nie ein Zug gefahren! Kozani mit seinem Bergbau erhielt 1954 einen
normalspurigen, von der Strecke Thessaloniki - Florina abzweigenden Bahnanschluss aus nördlicher Richtung. Zum Ausgleich der Fahrzeugverluste, die Zweiter Weltkrieg und Griechischer Bürgerkrieg hinterlassen hatten, wurden von den Thessalischen Eisenbahnen einige gebrauchte Dampflokomotiven der schweizer Brünigbahn und ab 1951 sechs neue ölgefeuerte Dampflokomotiven von Jung beschafft. Ebenfalls ab 1951 folgten insgesamt 14 Dieseltriebwagen von Breda in Italien.

Umspurung auf Normalspur

1955 wurden die Thessalischen Eisenbahnen verstaatlicht und in die Staatsbahngesellschaft SEK (Sidirodromoi Ellinikou Kratos), einem Vorläufer der heutigen Staatsbahn OSE aufgenommen. Bis 1960 wurde die Strecke von Larissa nach Velestino auf Normalspur umgebaut. Zwischen Velestino und Volos wurde eine vollständig neue Normalspurtrasse errichtet, die man etwas abseits (nördlich) der verbliebenen Schmalspurstrecke anlegte. In Volos wurden die Gleisanlagen teilweise zu Dreischienengleisen für Fahrzeuge beider Spurweiten umgebaut.

Normalspuriger Mavag-Triebwagen der Strecke nach Larissa
Darüber hinaus, war Volos (als Ausgangspunkt der Pilionbahn) nun zu einem Bahnhof für Bahnen dreier unterschiedlicher Spurweiten geworden. Die Verbindung zum Hafen und die straßenbahnartige Strecke der Pilionbahn durch das Stadtzentrum wurden zu einem Vierschienengleis für drei Spurweiten umgebaut. Bis ca. 1980 wurden auf der thessalischen Meterspur noch Güterzüge und gelegentlich Sonderzüge für Eisenbahnfreunde mit Dampflokomotiven geführt. Bis zur Anschaffung von fünf neuen, noch Anfang der 1990er-Jahre in Griechenland nach MAN-Baumuster gefertigten
Schmalspurtriebwagen, kamen immer wieder gebrauchte Fahrzeuge der Peloponnes-Schmalspurbahnen nach Thessalien. Bei diesen mußte dann jedoch immer die Zug- und Stoßvorrichtung umgebaut werden, da die Fahrzeuge der Thessalischen Schmalspurbahn wie Normalspurfahrzeuge mit seitlichen Puffern ausgestattet waren.
Nach der Umspurung der Strecke Larissa – Volos 1960 kam die Modernisierung der thessalischen Schmalspurbahnen zunächst zum Erliegen. Ab den 1980er-Jahren war die Umspurung der verbliebenen Meterspurstrecke mit finanzieller Unterstützung der EU wieder im Gespräch. Nach geringfügigen Vorarbeiten wurde 1998 der Gesamtverkehr zwischen Volos und Kalambaka eingestellt und die Gleise im Abschnitt Paleofarsalos - Kalambaka abgetragen, da aus finanziellen Gründen nunmehr nur noch dieser Abschnitt umge-spurt werden sollte.

Im Bahnhof Paleofarsalos konnte man auf die Strecke Athen – Thessaloniki umsteigen

An die Möglichkeit einer Aufrechterhaltung des Bahnbetriebes während der Bauarbeiten war offensichtlich nicht gedacht worden. Die Meterspurstrecke zwischen Paleofarsalos und Volos wurde komplett eingestellt und die modernen Triebwagen auf den Peloponnes gebracht.


Der Bahnhof Drosero war bereits zur Zeit des Schmalspurbetriebes aufgelassen.
Im April 2000 wurde der erste umgebaute Abschnitt bis Karditsa in Betrieb genommen. Verzögert durch Bürgerproteste, hauptsächlich die Lage von Bahnübergängen in Trikala betreffend, folgte im Januar 2001 die restliche Strecke bis Kalambaka. Mit der Umspurung war nun die Führung direkter Züge nach Athen und Thessaloniki möglich. Einige Direktverbindungen von Kalambaka nach Volos wurden im Umweg über Larissa angeboten. Neben der Erhöhung der Streckenhöchstgeschwindigkeit durch Neutrassierung enger Gleisbögen wurden
die Verkürzung der Fahrzeiten auch durch die Schließung kleinerer Bahnhöfe und Stationen erzielt, der sehr personalintensive Betrieb der verbleibenden Bahnhöfe blieb jedoch weitgehend unverändert. Der griechische Eisenbahnfreund Dimitrios Koffas (siehe Weblinks) schreibt in seinem Reisebericht aus dem Jahr 2001 über den Bahnhof Trikala:
Zitat: Da gibt es den Bahnhofsvorsteher (Stathmarchis) mit eigenem Büro und der großen Frage für Außenstehende: was macht er eigentlich? Da der Mann der "Streckenaufsicht", der im "Operation Office" seinen Dienst tut und dafür da ist, den Zügen freie Fahrt zu geben (bei fünf Zügen täglich wahrlich viel Arbeit). Gleich zwei Fahrkartenverkäufer waren in der Frühschicht tätig (Trikala hat 14 000 Einwohner und 30 Fahrgäste pro Zug könnte man als Rekord verbuchen). Da gab es noch den lieben Kollegen von der Gepäckausgabe (es könnte ja sein, ein Reisender möchte seinen Koffer aufgeben....), einen Schrankenwärter [...] , und das bei einer vollautomatischen Schrankenanlage, die vom Bahnhof ferngesteuert wird. [...] In den Morgenstunden war da noch 'ne Putzfrau und ein Mitarbeiter in einem Büro, der ebenfalls keine ersichtliche Aufgabe hatte.

Von erwähnter Gepäckaufbewahrung kann der Verfasser dieses Artikels übrigens bestätigen, noch zur Meterspur-Epoche tatsächlich während eines Vormittages in Trikala Gebrauch gemacht zu haben.


Endstation Kalambaka am Fuß der weltberühmten Meteorafelsen

In Trikala war eine lange Reihe alter Zweiachser abgestellt.

Ab 2001 wurden die Meterspurgleise im Bahnhof Volos abgetragen. Einige historische Fahrzeuge wurden nach Velestino gebracht, wo Eisenbahnfreunde auf den intakt ver bliebenen Schmalspurgleisen in Richtung Paleofarsalos gelegentlich Sonderfahrten mit einem von Linke-Hoffmann gebauten Dieseltriebwagen veranstalten. Die lange Reihe der zuvor in Volos abgestellten Breda-Triebwagen, die über Jahrzehnte so typisch für diese Bahn waren, war zu diesem Zeitpunkt aber bereits verschrottet.

Literatur

Hans-Bernhard Schönborn: Schmalspurbahnen in Griechenland, Willisau, 1997

Peter Wegenstein (Hrsg.): Bahn im Bild Band 107, Die Eisenbahnen Griechenlands, Verlag Peter Pospischil, Wien 1986

Weblinks

Dimitrios Koffas, Mit der Bahn in Thessalien: http://mitglied.lycos.de/trena/

Historische Fotos der griechischen Schmalspurbahnen:
http://www.gwrarchive.org/site/sitel2pg/Greece/ng/ng.html

Ing. Herbert Ortner
Gestaltung: Franz Straka
März 2008